
Eine Geschichte der Hoffnung
Im Jahr 2018, als ich die Tränen und Erinnerungen von älteren Menschen in Bessarabien (Ukraine) sammelte, die die Schrecken der Hungersnot ertragen hatten, zeichnete ich ihre Geschichten von Tod und Überleben auf. Unter ihnen war eine, die ich „Eine Geschichte der Hoffnung“ nennen würde.
Ein alter Mann erzählte mir: „Schreckliche Ereignisse kamen in unser Dorf und ganz Bessarabien. Allein in unserem Dorf starben mehr als zweitausend Menschen an Hunger. Es gab keine Familie oder kein Haus, das nicht durch diese Hungersnot gegangen wäre. Der ehemalige Bürgermeister des Dorfes während der Hungerjahre, Afanasiy Ivanovych Sotirov, sagte mir: ‚Der Bessarabische Bulgare ist ein Verwalter aus Blut. Selbst wenn er stirbt, denkt er an die Zukunft, an das, was nach ihm bleiben wird... Ich erinnere mich, dass ich einmal in ein Haus ging, und dort auf dem Boden lag ein Mann, tot vor Hunger. Ich fand ein Versteck unter dem Boden, und darin — einen Sack Getreide. Dieser Mann hatte das Getreide für die Frühjahrspflanzung aufbewahrt, um seine Familie in der Zukunft zu retten. Auch als er sie nicht vor dem Hunger retten konnte, dachte er an das Feld, das gesät werden musste.‘ Der Dorfvorsteher war erstaunt: ‚Ist das Dummheit oder Heldentum? Was tat dieser Mann? Er rettete Samengetreide, anstatt es zu verwenden, um seine Familie zu retten. Er hätte sie retten können, aber er wählte, das Getreide für die nächste Ernte zu bewahren. Es ist erschreckend!‘ Die ganze Familie starb an Hunger, und der Sack Getreide blieb unberührt. Eine Handvoll Getreide hätte viel verändern können. Mit einer Handvoll Getreide kann man einen ganzen Tag überleben. Aber er folgte einem ungeschriebenen Gesetz: ‚Du stirbst vor Hunger, aber du fasst das Samengetreide nicht an!‘“
Diese Geschichte ist nicht nur ein Erzählung, sie ist ein wahres Zeugnis. Seine Worte hallen weiterhin in mir wider, wie Glut, die bereit ist, in neue Flammen zu entflammen. Hat dieser Mann mehr hinterlassen als nur eine Erinnerung? Hat er etwas in mir gesät mit jener Handvoll Getreide, die er sich weigerte zu essen? Ein Mensch, den ich nie getroffen habe, entschied sich, sein Getreide mit Hoffnung auf Leben zu säen, für einen Frühling, den er nie sehen würde. Und dieses Getreide spross in mir — nicht als Weizenhalm, sondern als Verständnis für die menschliche Widerstandsfähigkeit, Vitalität und das Gedächtnis, das durch Generationen weitergegeben wird. Ich habe die Samen dieser Geschichten bewahrt, um sie in der Gegenwart zu säen — mit der Hoffnung, die eine unbekannte Zukunft wachsen lässt, nun gewässert mit dem Blut des Krieges. Wir bewahren das Samengetreide und warten auf die Frühlingssonne, denn Hoffnung ist unser unzerbrechlicher Antrieb zum Leben!
Brief an die Römer 8:24-25: „Denn in dieser Hoffnung sind wir gerettet worden. Aber Hoffnung, die gesehen wird, ist keine Hoffnung. Wer hofft auf das, was er bereits hat? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir noch nicht haben, warten wir geduldig darauf.“
Yona 2024